Vielleicht sind Sie in den sozialen Medien schon einmal auf Behauptungen gestoßen wie: „Taylor Swift ist so kreativ! Sie muss ein Rechte-Gehirnhälfte-Typ sein” oder “Elon Musk denkt mit links – er ist ein logisches Genie“. Ist an solchen Aussagen etwas Wahres dran? Und was bedeuten sie?
Werfen wir einen kurzen Blick auf die historischen Ursprünge dieses Phänomens. Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist das menschliche Gehirn in zwei Hemisphären - die linke und die rechte - unterteilt, die jeweils für unterschiedliche Funktionen zuständig sind. Dies wird als Lateralisation bezeichnet. Sie wurde erstmals im 19. Jahrhundert von dem französischen Arzt Paul Broca beobachtet, der entdeckte, dass die Schädigung eines bestimmten Bereichs in der linken Hemisphäre die Sprachproduktion beeinträchtigt. Ein weiteres Areal, das für das Verständnis von Sprache zuständig ist, wurde später von dem deutschen Neurologen Carl Wernicke entdeckt. Die Erkenntnisse dieser beiden Wissenschaftler bildeten die Grundlage für die Theorie der Lateralisation. Später wurde sie durch neue Erkenntnisse, die vor allem durch Hirnverletzungen durch Schusswunden während der beiden Weltkriege gewonnen wurden, gefestigt.
Das Hirn macht halbe-halbe
Die linke Hemisphäre wird in der Regel mit logischem Verständnis, analytischem Denken und Sprache in Verbindung gebracht. Kreativität, Intuition und räumliche Fähigkeiten werden normalerweise der rechten Hemisphäre zugeordnet. Trotz ihrer spezialisierten Funktionen arbeiten die beiden Gehirnhälften nicht isoliert voneinander. Sie kommunizieren über ein Bündel von Nervenfasern, das so genannte Corpus callosum, das ein koordiniertes Zusammenspiel der kognitiven Funktionen ermöglicht. Während zum Beispiel die linke Hemisphäre die grammatikalische Struktur eines Satzes analysiert, interpretiert die rechte Hemisphäre den emotionalen Tonfall.
Die Lateralisation erstreckt sich auch auf sensorische und motorische Leistungen. Jede Hemisphäre steuert die jeweils andere Seite des Körpers - in Fachkreisen spricht man von Kontralateralität. So steuert etwa die linke Gehirnhälfte die rechte Hand und umgekehrt.
Die Erkenntnisse über die Lateralisation des Gehirns sind für die Medizin von großer Bedeutung. So können Therapien für Hirnverletzungen darauf abgestimmt werden, welche Hemisphäre betroffen ist, um Patienten optimal bei der Genesung zu unterstützen.
Es erscheint ziemlich eindeutig: Kreative Menschen sind "rechtshirnig" und logisch denkende Menschen haben eine dominante linke Hemisphäre. Aber ist es wirklich so einfach?
Gefährliches Halbwissen
Bis vor knapp hundert Jahren glaubte man noch, dass beide Gehirnhälften unabhängig voneinander arbeiten und dass die linke Hälfte der rechten überlegen ist. "Rechtshirnigkeit" wurde damals Frauen, Kriminellen und Geisteskranken zugeschrieben. Zum Glück sind diese misogynen Ansichten weitgehend überwunden und durch sachlichere wissenschaftliche Hypothesen ersetzt worden, die auf beobachtbaren Fakten beruhen.
Leider ist die gängige Vorstellung von der Lateralisation des Gehirns immer noch voller Missverständnisse und grober Vereinfachungen, insbesondere in der Pop-Psychologie - daher der Mythos, dass Menschen entweder „links- oder rechtshirnig“ sind. In Wirklichkeit lässt sich das Konzept der Lateralisation nicht pauschal anwenden; es gibt zwar gewisse Tendenzen, aber individuelle Abweichungen sind allgegenwärtig. So sind die Sprachfunktionen bei etwa 95 % der Rechtshänder, aber nur bei 70 % der Linkshänder in der linken Hemisphäre verortet. Und bei manchen Personen ist die Lateralisation komplett vertauscht - genauso wie es Menschen gibt, die mit dem Herzen auf der rechten Seite geboren werden.
Aber selbst bei Menschen mit einer Lateralisation wie aus dem Lehrbuch arbeiten die beiden Hemisphären nicht unabhängig voneinander oder eine mehr als die andere. Beide Hälften des Gehirns arbeiten auf hochgradig vernetzte Weise zusammen, und die meisten kognitiven Aufgaben erfordern die Beteiligung beider Hemisphären. Dies wird durch die sogenannte Neuroplastizität besonders deutlich: Ist eine Hemisphäre geschädigt, kann die andere oft die verlorenen Funktionen übernehmen.
Jüngste Forschungsergebnisse deuten zudem darauf hin, dass die Lateralisation nicht so starr ist, wie bislang angenommen, und dass viele Gehirnfunktionen stärker auf beide Hemisphären verteilt sind als man dachte.
Schlussgedanken
Die Lateralisation der Gehirnfunktionen ist ein grundlegender Aspekt der kognitiven Leistung und spiegelt die Fähigkeit des Gehirns zur Spezialisierung und Prozessoptimierung wider. Beide Hemisphären arbeiten zusammen, um das reichhaltige Spektrum des menschlichen Denkens und Verhaltens zu erzeugen - aber so vielfältig wie die Menschen selbst sind auch die Gehirne in ihren Köpfen.
Wenn Sie also jemand als rechtshirnig wie Taylor Swift oder linkshirnig wie Elon Musk bezeichnet, denken Sie daran, dass dies bestenfalls eine leere Floskel ist, um allgemeine Persönlichkeitsmerkmale zu beschreiben, und es dafür keine wirkliche wissenschaftliche Grundlage gibt - so wie bei Sternzeichen. Ob Sie es nun ignorieren oder darauf eingehen wollen, eines ist sicher: Ihr Gehirn macht keine halben Sachen.