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TAGTRÄUMEN: DAS GUTE, DAS SCHWIERIGE UND WIE ACHTSAMKEIT HELFEN KANN

Symbole, die positive Funktion des Tagträumens darstellen: Kreativität, Planung, Fantasie und Reflexion
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Ich schweife oft in meine Traumwelt ab, und habe mich gefragt, warum einige von uns das öfter tun als andere. Mein Großvater hat meinen Vater einen „Träumer“ genannt; zwar was das kritisch gemeint, jedoch bin ich stolz, der Sohn eines Träumers und sogar einer selbst zu sein. Trotzdem wundere ich mich, was für Auswirkungen zu viel Tagträumen auf einen haben kann.

Manchmal stören meine Tagträume mich bei meinen Aufgaben oder bei der Konzentration, wie beispielsweise mitten in einem Gespräch. Tagträumen bedeutet für mich, Kontakt mit dem Hier und Jetzt zu verlieren, was problematisch sein kann, wenn es zu oft geschieht.

Das hat mich dazu geführt, das Verhältnis zwischen Träumerei und Achtsamkeit zu untersuchen. Sind wir gar nicht achtsam, wenn wir träumen? Sollten wir das Tagträumen verlernen, um im Alltag präsenter zu sein oder können wir eine gute Balance zwischen den beiden finden? Was ist, wenn Tagträumen mehr Vorteile hat als gedacht?

Genau diesen Fragen gehe ich in diesem Artikel auf den Grund. Wir werden uns Tagträume im Detail anschauen: die Vorteile, die Nachteile, die wissenschaftliche Perspektive und das Verhältnis zwischen Achtsamkeit und Tagträumen.

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Was ist Tagträumen? Warum haben wir Tagträume?

Tagträumen – oft auch als „Fantasieren“ oder „Wachträumen“ beschrieben – ist ein bewusster Strom, der uns von den Aufgaben, die wir gerade unternehmen, entfernt und unsere Aufmerksamkeit nach innen statt nach außen lenkt.

Hauptsächlich unterscheiden sich Tagträume von herkömmlichen Gedanken durch ihre Spontaneität. Wenn wir über etwas nachdenken, versuchen wir bewusst, darauf fokussiert zu bleiben. Wenn wir hingegen tagträumen, sind wir komplett in unseren Gedanken verloren. Zwar denken wir dabei auch über Sachen nach, jedoch haben wir kaum Kontrolle über den Inhalt oder die Entwicklung dieser Gedanken.

Schauen wir uns die konstruktiven Funktion von Tagträumen an:

  • Über unser Zukunft nachdenken: zukünftige Erfolge vorstellen, mögliche Misserfolge, Ziele die wir erreichen wollen

  • Kreatives Denken: kreative Lösungen für Probleme finden, künstlerische Projekte entwickeln

  • Ablenkung: eine frische Perspektive gewinnen, indem wir über etwas anderes Nachdenken

  • Langeweile vertreiben: sich mit etwas Interessanterem beschäftigen, statt der langweiligen Pflicht, die Zeit schneller vergehen lassen

  • Soziale Situationen vorstellen: Einsamkeit verringern, Beziehungen besser verstehen

Kreative Gehirnaktivität während eines Tagtraums
Kreative Gehirnaktivität während des Tagträumens hilft uns, Probleme zu lösen und über den jetzigen Moment hinauszudenken

Vertiefen wir das Ganze nun ein wenig. Welche Vorgänge finden auf neurologischer Ebene statt? Was tut unser Gehirn überhaupt, wenn wir tagträumen?

Die Wissenschaft der Tagträume

Eine Studie der Harvard Medical School von 2023 die im „Nature“ Magazin veröffentlicht wurde, klärt einiges Mysteriöse über Tagträumen auf einer neurologischen Ebene auf. Indem sie die Gehirnaktivität von Mäusen untersuchten, wollte eine Gruppe von Wissenschaftlern herauskriegen „wie dieser Tagtraum Prozess neuro-biologisch stattfindet und ob diese ruhigen Momente der Reflexion wichtig für den Lernprozess und das Gedächtnis sind“, erklärt Hauptverfasserin Nghia Nguyen.

Neurologische Aktivität während eines Tagtraumes, auf wissenschaftlichen Studien basierend
Wissenschaftlichen Studien zufolge bleibt unser Gehirn auch in ruhigen Momenten aktiv

Während und nach dem Betrachten eines Bildes wurden Gehirnscans von Mäusen durchgeführt. Während sie das Bild ansahen, wurde ihre neuronale Aktivität aufgezeichnet. Später, als das Bild weg war und die Mäuse wach, aber in einem ruhigen, zurückgezogenen Zustand waren, zeigten die Gehirnscans eine ähnliche Aktivität wie zuvor beim Betrachten des Bildes. Dies ließ die Forscher vermuten, dass die Mäuse auch im Wachzustand noch das Bild vor Augen haben bzw. davon tagträumen.

Später, als den Mäusen das Bild wieder gezeigt wurde, stellte sich etwas Interessantes heraus: Ihre Gehirnaktivität hatte sich im Vergleich zum allerersten Gehirnscan deutlich verändert. Dadurch wurde den Wissenschaftlern klar, dass die Beziehung der Mäuse zum Bild sich durch ihre Tagträume weiterentwickelt hatte und somit das Tagträumen einen großen Einfluss auf das Verhältnis zwischen Gehirn und dem Beobachteten hat.

Für den Hauptleiter der Studie, Mark Andermann, stellen diese Funde die Möglichkeit für ein weiterentwickeltes Verstehen der Neuroplastizität dar. Bei der neurologischen Perspektive kommen interessante Fragen zum Thema Tagträumen auf, wie zum Beispiel, ob Tagträumen einige zerebrale Aufgaben erfüllt, die noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden können. Es sind jedoch weitere Tests erforderlich, um die Erkenntnisse weiterzuentwickeln.

Setzen wir alles mit diesem Szenario in Perspektive: Wann haben Sie das letzte Mal einen Film gesehen, der Ihnen nicht aus dem Kopf gegangen ist –  Sie vielleicht sogar bei der Arbeit oder während einem Treffen oder einem Telefonat abgelenkt hat?

Je intensiver Sie davon träumen, desto mehr erfahren Sie nicht nur über den Film selbst, sondern auch darüber, warum er Ihnen so viel bedeutet. Er könnte bei Ihrer Interpretation sogar alte Erinnerungen wecken, und nach all dem Nachdenken und Ihren vertieften Einblicken, kann es Ihnen sogar leichter fallen, sich mit anderen Menschen über den Film auszutauschen.

Dies ist eine der konstruktivsten Merkmale der Tagträume: Es kann Ihnen ein vertieftes Verständnis für alles, was wir erleben und konsumieren, bieten. Schauen wir uns nun das Phänomen der übermäßigen Tagträumerei an, dem sogenannten „maladaptiven Tagträumen“.

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Was ist maladaptives Tagträumen?

Maladaptives Tagträumen kann auch als schädliches oder gar zwanghaftes Tagträumen bezeichnet werden. Es zeichnet sich durch die langen Perioden der Träumerei aus, die manchmal einige Stunden lang anhalten können, und meist mit der Vermeidung eines Problems zusammenhängen. Es wird als „maladaptiv“ bezeichnet, weil es Sorge auslösen und die Arbeitsfähigkeit negativ beeinflussen kann.

Die Intensität der maladaptiven Tagträume ist genau das, was sie von herkömmlichen Tagträumen unterscheidet. Sie sind folgendermaßen charakterisiert:

  • Lange Zeitspanne

  • Ausführliche Szenarien

  • Erschreckende imaginäre Situationen

  • Detaillierte Umgebungen und Interaktionen?

Person geht am Strand gedankenversunken hin und her als Symbol des übermäßigen Tagträumens
Wenn Tagträumen zu belastend wird, kann es uns vom präsenten Moment abgrenzen und unser Leben beeinträchtigen

Maladaptives Tagträumen tritt häufig auch mit bestimmtem Verhaltensweisen auf, wie Zappeln oder Umherlaufen. Es kann auch geschehen, dass jemand, der gerade tief in einen Tagtraum versunken ist, nicht auf Ansprache reagiert.

Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Kind geträumt habe, während ich am Strand im Kreis gelaufen bin. Immer wieder bin ich den gleichen Weg gegangen, bis sich eine tiefe Furche im Sand gebildet hatte. Meine Familie und ich waren im Urlaub, aber ich konnte etwas, das letztens in der Schule geschehen war, nicht aus dem Kopf kriegen. Weil ich die ganze Zeit in meinen eigenen Gedanken rumorte, kann ich mich kaum an den eigentlichen Urlaub erinnern. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, war das wahrscheinlich eine längere Episode des maladaptiven Tagträumens.

Wenn wir tagsüber zu viel träumen, verpassen wir Gelegenheiten und Erfahrungen, die vielleicht unser Leben bereichern könnten. Obwohl es manchmal doch eine kreative Entlastung sein kann, bedeutet Tagträumen jedoch öfter, dass wir einfach in unseren eigenen Köpfen feststecken.

Somit möchte ich als nächstes die Beziehung von Achtsamkeit und Tagträumen genauer betrachten. Für viele Träumer kann es eine Herausforderung sein, präsent zu bleiben, vor allem für diejenigen, die unter der maladaptiven Art leiden. Indem wir Achtsamkeit lernen, bietet sich zwar Techniken an, die das Tagträumen vermindern, aber müssen wir uns wirklich ständig mit diesem inneren Konflikt auseinandersetzen? Schauen wir’s uns genauer an.

Achtsamkeit für Tagträumer

Es gibt zwei Aspekte der Achtsamkeit, die hier für uns wichtig sind:
Achtsamkeitsmeditation und die Achtsamkeit im Alltag.

Eine Frau macht Achtsamkeitsmeditation, um Ihre innere Ruhe wieder zu finden
Achtsamkeitsübungen wie Meditation helfen Tagträumern, Kontrolle über Ihre Gedanken zu ergreifen

Achtsamkeitsmeditation kann uns helfen, unsere vielen Überlegungen zu ordnen, negative Gedanken loszulassen, und den Geist wie auch den Körper zu beruhigen. Es gibt zwar verschiedene Methoden dafür, aber die meiste Zeit wird tiefe Atmung und eine wachsende Bewusstheit des Körpers empfohlen.

Achtsamkeit im Alltag bedeutet jedoch vor allem, im täglichen Leben wirklich präsent zu sein. Das können wir auf dem Weg zur Arbeit, beim Spazierengehen, während einem Gespräch oder in anderen Situationen nutzen, die unsere komplette Aufmerksamkeit verlangen. Das Ziel ist, unseren Gedanken keinen freien Lauf zu lassen. Kurz gesagt: Wir träumen nicht.

Da Tagträumen für besonders kreative Menschen doch einige einzigartige Vorteile aufweist, sollten diese nicht das Träumen vollkommen mit Achtsamkeit ersetzen. Stattdessen wäre es passender, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Tagträumen und Achtsamkeit zu erreichen.

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Dabei ist der Lernprozess besonders hilfreich: die Achtsamkeitslehre kann uns mit etwas Geduld und Übung helfen, die Konzentration wieder zu erreichen, sobald unsere Gedanken anfangen abzuschweifen. Hier ein paar Tipps zum Umgang mit dieser Herangehensweise:

Konzentrieren Sie sich auf die Außenwelt. Bei Achtsamkeit wird es meist empfohlen, äußere Ablenkungen nicht zu beachten. Das könnte sich für Tagträumer schwierig gestalten, da wir uns dann genau dort befinden, wo das Tagträumen beginnt – in unseren Gedanken.

Stattdessen können wir die externe Welt als Konzentrationspunkt benutzenNehmen Sie bei einem Spaziergang Ihre Umgebung mit all Ihren Sinnen wahr: Spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen, sehen Sie sich die Natur genau an, hören Sie den Vögeln zu. Atmen Sie die frische Luft tief ein und schnuppern Sie, welche Gerüche darin vorkommen.

Machen Sie sich den Anfang leicht. Eine halbe Stunde stillsitzen und meditieren kann für Tagträumer erschreckend erscheinen. Probieren Sie, stattdessen, 3-minütige Intervalle aus, in denen Sie sich auf Ihren Atem konzentrieren. Werden Sie sich Ihren Gefühlen und körperlichen Empfindungen bewusst und lassen Sie die Gedanken kommen und gehen.

Somit verschaffen Sie sich eine direkte Verbindung zu Ihrem Körper und vermeiden es, jeden Gedanken zu verfolgen und die kurze Zeit, die von dieser Übung verlangt wird, hilft Ihnen, nicht die Motivation zu verlieren.

Probieren Sie geführte Meditation. Da wir ständig von Gedanken abgelenkt sind, müssen wir uns auf etwas Neues konzentrieren. Es gibt eine reiche Auswahl and geführten Meditationsübungen, die uns helfen können, die Konzentration zu behalten und im jetzigen Moment zu bleiben. Da diese Art der Übung oft unsere Fantasie benötigt, ist Tagträumen hierbei eine hilfreiche Fähigkeit.

Neugierig, wie achtsam Ihr Alltag momentan ist? Machen Sie jetzt kostenlos den Achtsamkeits-Test.

Ein zwiegespaltenes Bild zeigt das Gleichgewicht zwischen Achtsamkeit und Tagträumen für emotionales Wohlbefinden
Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Achtsamkeit und Tagträumen hilft bei Kreativität und Klarheit

Den Konflikt zwischen Achtsamkeit und Tagträumen akzeptieren

Zuletzt ist es wichtig zu bedenken, dass wir nicht versuchen, unsere Tagträume komplett zu besiegen. Es kann zwar manchmal frustrierend sein, wenn unsere Gedanken wieder anfangen zu wandern, jedoch ist Träumen eine wundervolle Begabung und eine tolle Fähigkeit, die Kreativität fördert und uns neue Ideen bringt. Tagträumer sind oft sehr rücksichtsvolle und durchdachte Menschen, die Ihren Erfahrungen viel Aufmerksamkeit schenken.

Achtsamkeit kann uns helfen, etwas Kontrolle über unser Träumen zu ergreifen. Für Tagträumer wie mich selbst, ist das besonders wichtig, da unsere Gedanken oft von alleine wandern.

Indem wir einige Male am Tag Achtsamkeit üben und geführte Meditationen ausprobieren, helfen wir nicht nur uns selbst, sondern auch anderen. Dadurch können wir gesündere Kommunikationsweisen und produktivere Arbeitstage gewinnen.

Außerdem hilft Achtsamkeit uns, Tagträumen sinnvoll einzusetzen, beispielsweise indem wir uns aussuchen, wann und wo wir ungestört an etwas Bestimmtes denken wollen. Somit üben wir das Tagträumen auch für den Fall, dass wir uns eine bestimmte Sache überlegen, unsere Fantasie benutzen, oder ein zukünftiges Szenario planen müssen.

Mehr Tipps für ein ausgeglichenes Leben finden Sie in unseren Artikeln und Harmonie-Tests.