Es heißt, eine Fremdsprache lernen macht zweimal Spaß: einmal am Anfang, wenn alles noch neu und aufregend ist, und ein zweites Mal am Ende, wenn man die Sprache endlich beherrscht. Die Zwischenphase kann jedoch für manche zu einer Herausforderung werden, und viele Menschen würden ab einem gewissen Punkt am liebsten aufgeben.
Aber gerade wegen dieser Schwierigkeiten ist es gut zu wissen, dass das Lernen einer neuen Sprache die Lebensqualität verbessert: es ermöglicht einem, neue Erfahrungen und Kommunikationsweisen zu erforschen und hat trotz des hohen Zeitbedarfs viele tiefgreifende, positive Auswirkungen auf das Gehirn.
Studien zum Sprachenlernen
Forschungen zum Thema Sprachenlernen deuten auf eine Vielzahl von Vorteilen für unser Gehirn hin, egal ob man zweisprachig aufwächst oder im späteren Leben eine Fremdsprache lernt (obwohl die Vorteile in einigen Fällen je nach Alter unterschiedlich sind). Weitere Gründe, weshalb es sich lohnt, sich eine neue Sprache anzueignen:
1. Verbesserte Kognition. Dazu gehören eine bessere schulische Leistung und Lesekompetenz, insbesondere bei jungen Menschen, was zum Erfolg in anderen akademischen Bereichen verhelfen kann. Darüber hinaus verbessert bereits eine Woche Sprachenlernen die Konzentrationsfähigkeit eines Schülers, unabhängig vom Alter, und hilft auch, besser Multitasking zu betreiben, da das Gehirn an den Wechsel und die Aktivierung unterschiedlicher Bereiche gewöhnt ist.
2. Verlangsamter Alterungsprozess. Dies hat mehrere Gründe: Das Sprachstudium besteht aus einer perfekten Kombination von neuen Aneignungen (wie z. B. Vokabeln) und Wiederholungsübungen. Somit werden die kognitive Funktion sowie auch die Fähigkeit zur Kurz- und Langzeiterinnerung bewahrt – eine Eigenschaft, die sich nicht nur bei denen mit einer zweisprachigen Kindheit findet, sondern auch bei Menschen, die eine Zweitsprache als Erwachsene gelernt haben. Entscheidend ist, dass mehrsprachige Menschen in der Regel eine Verzögerung im Auftreten von Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz erfahren.
3. Verbesserte Entscheidungsfähigkeit. Mehrsprachige Menschen zeigen eine stärkere Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen, was ihnen hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus sind sie tendenziell besser in der Lage, logische Entscheidungen zu treffen, anstatt von Impulsen übermannt zu werden.
4. Geförderte Kreativität. Mehrsprachige Schüler haben tendenziell ein flexibleres, besonders empfängliches Gehirn, das besser Probleme lösen kann und offener für neue Ideen ist. Dies ist hauptsächlich dem ständigen, notwendigen Sprachwechsel, der verschärften Sprachlernkompetenz und der generellen Übersetzung zu verdanken.
5. Stärkere Kommunikationsfähigkeiten. Mehrsprachige Menschen sind eher in der Lage, Empathie auf zwei Arten zu empfinden: Erstens haben sie eine stärkere Fähigkeit, verschiedene Perspektiven zu sehen, und zweitens erkennen sie wichtige Umstände, wenn sie mit anderen Menschen über kulturelle Grenzen hinweg in Verbindung treten. Sie sind auch besser im aktiven Zuhören, was bedeutet, dass sie nicht nur horchen, sondern auch verstehen, reflektieren, antworten und sich die Informationen für später merken.

In der Praxis: Interview mit einer Sprachschülerin
TerraYou wollte untersuchen, wie sich diese mentalen Vorteile in der Praxis manifestieren, und deshalb haben wir uns mit einer Person getroffen, die Englisch und Deutsch spricht, um herauszufinden, wie eine Einzelperson durch das Erlernen einer Sprache ihr Gehirn verändern kann.
Elizabeth Estle wuchs in den Vereinigten Staaten auf und lernte in der Highschool eine zweite Sprache. Doch erst als sie einen Deutschen kennenlernte und nach Deutschland zog, konzentrierte sie sich wirklich darauf, bilingual zu werden.
TerraYou: Bevor wir anfangen, können Sie uns verraten, wann Sie begonnen haben, eine zweite Sprache zu lernen, und auf welchem Niveau Sie derzeit sprechen?
Elizabeth: Ich habe Spanisch in der Highschool gelernt, aber es war „Papier-Spanisch“, das ich leider nicht oft anwenden konnte. Nachdem ich ins Ausland gezogen bin, habe ich mich im Alter von 27 Jahren wirklich dem Deutschlernen gewidmet. Heute habe ich ein C1-Zertifikat, was bedeutet, dass ich in der Sprachlerngemeinschaft als fließend sprechend anerkannt werde.
TY: Interessant, können Sie das näher erläutern?
Elizabeth: Das C1-Niveau hat viele, viele Unterstufen und Meilensteine, und ich bin mir sehr bewusst, wie viel ich noch zu lernen habe. Ein C1-Zertifikat hilft in vielen bürokratischen oder beruflichen Situationen, aber ich möchte mich auf Deutsch genauso präzise und kreativ ausdrücken können wie auf Englisch, und auf dem Niveau bin ich noch nicht.
TY: Wenn Sie sich diese Liste von kognitiven Vorteilen für Ihr Gehirn beim Sprachenlernen ansehen – von verbesserter Kognition über bessere Entscheidungsfindung und so weiter – haben Sie diese Merkmale bei sich selbst beobachtet?
Elizabeth: Die verbesserte Kommunikation spricht mich besonders an. Besonders wenn man Wissenslücken hat, wird man sehr gut darin, den Tonfall und die Körpersprache der Menschen zu lesen und sie mit den tatsächlich gesprochenen Worten zu kombinieren. Wenn man alles zusammenfügt, versteht man genau, was einem mitgeteilt wird. Wenn man eine neue Sprache lernt, nachdem man die Muttersprache bereits beherrscht, lernt man die harte Lektion, dass Wörter mehrere Bedeutungen haben als nur ihre direkte Übersetzung. Redewendungen sind ein einfaches Beispiel. Ich musste lernen, dass „seinen Senf dazugeben“ tatsächlich nichts mit der Senfsoße zu tun hat. Im Englischen würden wir stattdessen sagen ”giving your two cents“. Solche kulturell geprägten Redewendungen sind gute Beispiele dafür, wie die Gesellschaft ihre Muttersprache beeinflusst. Das wiederum beeinflusst direkt die Weltanschauungen der Menschen in dieser Gesellschaft, was einerseits harmlos sein kann, wie der Scherz über Senf, andererseits aber auch Stereotypen aufrechterhalten oder bekämpfen kann.
TY: Das hängt auch mit der kommunikativen Empathie zusammen, eine der zunehmenden Eigenschaften beim Sprachenlernen, wie Forscher festgestellt haben.
Elizabeth: Genau, und das ist einer meiner Lieblingsaspekte, wie sich das Gehirn beim Sprachenlernen zum Besseren verändert! Zuerst meint man, kommunikative Empathie bedeutet einfach nur, dem Gesprächspartner Mitgefühl zu demonstrieren, aber es ist viel komplexer. Es geht darum, ihre Weltanschauung bei Gesprächen zu berücksichtigen, ohne davon auszugehen, dass sie dieselben Erfahrungen gemacht haben wie man selbst. Eine Sprache zu lernen lehrt einen, Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen nicht zu verurteilen, nur weil sie nicht denselben Weg gegangen sind wie man selbst – und darauf zu vertrauen, dass sie einem die gleiche Empathie entgegenbringen. Und natürlich erinnert man sich daran, aus der Vielfalt zu lernen, die sie in die Unterhaltung einbringen.
TY: Gab es Eigenschaften aus der Kognitionsliste, die Sie überrascht haben?
Elizabeth: Eigentlich nicht, obwohl es faszinierend ist, sie vollständig erklärt zu bekommen. Es macht Sinn, dass Sprachlerner und mehrsprachige Menschen bessere Entscheidungsfähigkeiten besitzen, besonders wenn es teilweise darauf ankommt, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen, bevor man eine Entscheidung trifft. Oft verbringt man Monate, vielleicht Jahre damit, eine Kultur zu verstehen, bevor man dorthin reist, und lernt, dass sie wahrscheinlich die gleichen Werte hat wie man selbst, sich jedoch nur anders ausdrückt. Neue Perspektiven zu gewinnen, lässt sich nicht von dieser Idee trennen, und die Auseinandersetzung mit diesen Perspektiven gibt einem die Chance, über die eigene Weltsicht und seine persönliche Rolle in ihr nachzudenken. Wenn ich an die Person zurückdenke, die ich war, als ich anfing zu lernen, fühlt sich meine damalige Weltsicht im Vergleich zu heute viel eingeschränkter und weniger flexibel an. Ich habe das Gefühl, mich besser in die Position anderer versetzen zu können, unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen, weil ich weiß, wie viel „Welt“ es noch gibt, die ich einfach noch nicht kenne. Ich bin mir meiner Wissenslücken viel mehr bewusst, was mich auch dazu ermutigt, dem Wissen anderer zu vertrauen.
TY: Viele sagen, dass das Sprachenlernen ein Marathon ist, kein Sprint. Welche Techniken haben Ihnen geholfen, weiterzumachen?
Elizabeth: Eine meiner Freundinnen gab mir einen Ratschlag, den ich echt nicht hören wollte: Du musst dich damit abfinden, lächerlich zu klingen. Zu Beginn meiner Reise, als ich nicht die Grammatik oder den Wortschatz besaß, um mich richtig auszudrücken, fühlte ich mich oft sehr verzweifelt; ich spürte, dass Leute mich für kindisch hielten, weil ich eben wie ein Kind klang! Immer wieder muss man seine Frustration und seine Scham überwinden, bis man diese eine Unterhaltung hat und merkt: „Ich glaube … ich glaube, das lief ganz gut!“ Je mehr man in die Sprache eintaucht, desto öfter wird man dieses Gefühl haben, auch ohne formellen Unterricht.
TY: Wenn Sie an die Zukunft denken, gibt es einen persönlichen Meilenstein, an dem Sie endlich sagen werden: „Ich habe das Niveau an Deutsch erreicht, das ich immer erreichen wollte! Ich bin fertig!“?
Elizabeth: Sobald ich eine ganze Kurzgeschichte schreiben kann, ohne ein Wort nachschlagen oder meine Grammatik mit meinem Partner, der Muttersprachler ist, überprüfen zu müssen – dann werde ich aufhören! Aber selbst wenn sich mein Deutsch nur passiv immer weiter verbessert, wäre das so schlimm? Vor allem, wenn wir wissen, wie gut es unserem Gehirn tut! Momentan lerne ich die deutsche Sprache immer noch auf dem C1-Niveau, und das wird sich voraussichtlich auch nicht ändern.

Sprache „im Gespräch“ mit unserer Kognition
Aktuell wird die Art und Weise der positiven Auswirkung von Sprache auf das Gehirn noch erforscht, aber die unglaublichen Vorteile sind bereits nachweisbar! Egal, ob Sie eine andere Sprache von Geburt an gelernt haben oder als Erwachsener neu damit anfangen: Wenn Sie sich auch nur für kurze Zeit dem Sprachenlernen widmen, gewinnt Ihr Gehirn schon an den bisher genannten vorteilhaften Fähigkeiten.
Wenn Sie Ihre eigene Geschichte über Zweisprachigkeit oder den Lernprozess teilen möchten, würden wir uns freuen, von Ihnen zu hören.

